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Lothar Keite

Das Preisgespräch erfordert mehr psychologische als mathematische Kenntnisse
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Kunden sind keine Roboter

Kennen Sie einen solchen Verhandlungsverlauf: es war eines der umfassendsten Projekte, das wir gemeinsam angehen wollten, wir gingen Schritt für Schritt in großer Übereinstimmung, aber kurz vor Abschluss des Projektvertrages kippt dieser aufgrund einer Nichtigkeit. Immer wieder muss im Vertrieb festgestellt werden, dass nicht die Höhe eines Angebotes entscheidet, sondern häufig eine Kleinigkeit, eine minimale Veränderung. Sehr oft verlassen die Verhandlungspartner ratlos den Raum, weil an sich doch die ganze Zeit über ein guter Wille gegeben war. Was passiert da?
Wir dürfen im Vertrieb nicht in die Wertefalle tappen, die so angelegt ist, dass wir in Verhandlungen logisch-mathematisches Denken unterstellen, bei dem mit zunehmendem Risiko umso härter gefeilscht wird, im Prinzip aber die Zahlen entscheidend sind. Tatsächlich werden Bewertungen anhand von Änderungen vorgenommen. Das zentrale innere Gefühl ist das Empfinden von Gewinnen und Verlusten. Grundsätzlich sind Menschen Risiko-avers und mögen Verluste nicht. Die Ausprägung ist etwas unterschiedlich. Wer regelmäßig professionell verhandelt, hat geringere emotionale Ausprägungen. Aber sie verschwinden nicht.
Daniel Kahnemann hat mit Amos Tversky die „Prospect-Theorie“ entwickelt, weil es um Erwartungen geht. Die Wissenschaftler weisen nach, dass gleiche Änderungen unterschiedlich empfunden werden. Menschliches Verhandeln beginnt mit einer Vorstellung, einem Eckpunkt. Dieser wird häufig am Anfang gesetzt: wir denken, dass dieses Projekt in etwa Kosten in Höhe von 1 Million € verursacht.
Es gibt nun zwei mögliche Reaktionen:

  1. Der Gesprächspartner hatte noch gar keine Zahlenvorstellung; von diesem Zeitpunkt an orientiert er sich an der gesetzten Marke.
  2. Der Gesprächspartner hat eine Vorstellung, was häufiger vorkommt, da die Vorabrecherche durch das Internet relativ unproblematisch ist.
    1. Hat sich bei dem Gesprächspartner vorab der Eindruck verfestigt, das Projekt wird wahrscheinlich circa 1,5 Mio € kosten, dann wird der Erwartungswert deutlich unterschritten. Die folgenden Verhandlungen laufen in sehr positiver Atmosphäre.
    2. Hat sich bei dem Gesprächspartner vorab der Eindruck verfestigt, das Projekt wird wahrscheinlich circa 0,75 Mio € kosten, wird der Erwartungswert deutlich überschritten. In den folgenden Verhandlungen wird der Gesprächspartner alle Einzelheiten kritisieren und es durchaus darauf anlegen, das gemeinsame Projekt zum Fallen zu bringen.

Der Ausgangspunkt ist mithin extrem entscheidend. Dabei darf nicht einfach eine zahlenmäßige Ableitung vorgenommen werden. Wenn das Unternehmen, mit dem verhandelt wird, parallel prüft, zu welchem Preis etwa ein indisches Konsortium anbietet, dann kann durchaus die Einstellung vorliegen:

  1. Das indische Konsortium bietet zu 0,8 MIo € an.
  2. Bei einem deutschen Anbieter wäre ich bereit, 1 Mio € zu akzeptieren.

Der Eckpreis wird eben auch durch Einstellung und Risikoaversion geprägt. Unterstellt der Gesprächspartner, dass deutsche Anbieter zuverlässiger arbeiten, so bedeutet dieses, dass erwartet wird, dass der Ausgangspreis zwar höher ist, dafür die Schwierigkeiten anschließend aber niedriger sein werden. Die Einschätzung hängt von der Erwartung ab.
Was kann ein Verkaufsteam unternehmen, um Preisspielräume aufbauen und realisieren zu können? Zunächst gilt die bekannte Verkäuferdevise: wer fragt, der führt. Die Gedanken auf der Abnehmerseite ranken häufig um die eigene Lieferantenbewertung. Das Team muss dafür sorgen, dass die Lieferantenbewertung für das eigene Unternehmen auf den  relevanten Kriterien positiv ausfällt. Diese Aufgabe hat zwei Aspekte: die entscheidenden Kriterien bei dem Abnehmer zu setzen und die positive Ausprägung darzulegen. Lieferanten mögen mehr und mehr diesen Objektivierungsansatz. Typisch sind Scoring-Modelle. Hier ergibt sich dann eine Geradlinigkeit: das Überlegene hat natürlich einen höheren Preis.
Wirklichkeit funktioniert allerdings nicht mathematisch, wie die Zahlen nahelegen könnten. Es bedarf eines guten Gefühls. Dieses wird ausgelöst durch innere Bewertungen, die auf Veränderungen beruhen. Zunächst ist es für einen Verkäufer fahrlässig, zu früh, wenn er die Erwartung noch nicht abschätzen kann, über Zahlen zu reden. Zahlen verändern jedes Gespräch.
Dabei sind einige weitere Erkenntnisse zu bedenken. Beherrschend ist das Gefühl von Gewinn oder Verlust. Daniel Kahnemann gibt Beispiele, die zeigen, wie unterschiedlich die Bewertung sein kann. Hintergrund ist der Umgang in Auswahlsituationen.
Hier geht es zunächst um Anthony und Betty. Anthony besitzt 1 Million, Betty 4 Millionen ( € oder $ ). Es geht um eine Investition, für die zwei Möglichkeiten gegeben sind:

  1. 50 % zu 50 % Chance, am Ende entweder 1 oder 4 Millionen zu besitzen.
  2. 100 %: am Ende 2 Millionen zu besitzen.

Was wählt wer?
Anthony geht an die Sache heran, dass er 1 Million besitzt und wenn er am Ende 2 Millionen hat, die 100 % - Sache, dann hat er sein Vermögen verdoppelt. Bestens.
Betty geht an die Sache heran, dass sie 4 Millionen besitzt und wenn sie die 100 %-Möglichkeit nimmt, ihr Vermögen halbiert hat. Dann erscheint es besser, die 50 % zu 50 % Chance zu nutzen.
Es macht einen erheblichen Unterschied, ob es sich um Gewinn oder Verlust handelt. Wer nur Verbesserungen zur Auswahl hat, wählt eher die sichere Variante. Wer nur schlechte Möglichkeiten hat, beginnt zu spielen.
Die Geschichte von Anthony und Betty kennen insbesondere Versicherungsunternehmen sehr gut. Ein wesentliches Instrument, den Aufwand vieler kleiner Einzelvorgänge zu verringern, sind Selbstbeteiligungen. Versicherungsnehmer können zwischen unterschiedlichen Selbstbeteiligungen wählen. Eine private Krankenversicherung kann in etwa anbieten:

  1. Monatlicher Beitrag von 300 € und 750 € Selbstbeteiligung pro Jahr.
  2. Monatlicher Beitrag von 350 € und 250 € Selbstbeteiligung pro Jahr.

Fast alle Versicherungsnehmer wählen die Variante b). Nachgerechnet ergibt sich:

  1. 12 x 300 € = 3.600 € + 750 € = maximal 4.350 € pro Jahr.
  2. 12 x 350 € = 4.200 € + 250 € = maximal 4.450 € pro Jahr.

Dieses Verhalten ist zwei Gründen geschuldet: einmal der Risikoaversion, andererseits sicher auch dem deutschen Ansatz der Zweiteilung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil. Es ist in den meisten Unternehmen nicht möglich zu vereinbaren, dass sich das Unternehmen an Monatsbeitrag und Eigenanteil beteiligt; das verkompliziert die Prozesse.
Das lässt sich auf das Verhandlungsverhalten übertragen. Wenn nach dem Eckpunkt weitere Leistungen hinzukommen und der Betrag ständig steigt, wächst der Ärger. Deshalb ist ein Verhandlungsansatz, erst einmal mit einer niedrigen Zahl über die erste Hürde zu kommen und schrittweise die Leistungen und den Betrag auszudehnen, äußerst problematisch.
Vorteilhafter ist dagegen, wenn der Verhandlungspartner im Anschluss Vorteile erzielen kann. Diese wirken stärker als der absolute Preis. Jeder Verkäufer weiß natürlich, dass es nicht möglich ist, mit einem Mondpreis zu starten, um anschließend nachzugeben. Neben dem Glaubwürdigkeitsproblem besteht die Gefahr, in einer frühen Verhandlungsphase aus dem Rennen geworfen zu werden.
Es kommt wie immer auf die richtige Balance an.
Eine Verschiebung des Referenzpunktes im Kopf der Kunden kann zur Insolvenz führen. Sie erinnern sich sicherlich an die Baumarktkette „Praktiker“ und deren Werbung: 20 % auf Alles mit Ausnahme von Tiernahrung. Häufig genug gehört führt der Spruch zu einer Verschiebung: der Normalpreis ist minus 20 % und ich erleide einen Nachteil, wenn ich in der seltenen Zeit ohne Rabatt komme. Das gilt es für mich zu meiden. Damit hat sich das Unternehmen das erste Problem eingehandelt, was schon hinreichend negativ für das Ergebnis ist. Die Ausnahme aber: nicht für Tiernahrung stellt ein weiteres Problem dar. Vordergründig sagt ein Handelsmanager, wir müssen die Margen in dem Bereich sichern. Tiefgründig nachgebohrt sagen die Kunden, dass ihre Lieblinge nicht in den Genuss des Rabatts kommen. Das Unternehmen mag keine Tierliebhaber. Das war das zweite Problem.
Pricing trägt weitere Aussagen, tiefgründige Aussagen. Es kommt gerade darauf an, dafür einen Sinn zu bekommen. Es ist gerade keine Zahlenrechnerei, sondern es ist das emotionalste Instrument in der Hand des Verkäufers. Grundlage der emotionalen Bewertung sind die empfundenen Veränderungen.
Kunden lieben Sicherheit und Berechenbarkeit. Das erklärt die Vorliebe von Flat-Rates, besonders bekannt und eingesetzt für das Smartphone. Vor einigen Jahren bereits haben Anja Lambrecht und Bernd Skiera ausgerechnet, dass Mobiltelefonierer mit Flatrate im Durchschnitt 12 % mehr zahlen als ohne. Es entspricht aber dem Wunsch nach Kalkulierbarkeit.
Der Anbieter muss allerdings ein weiteres Phänomen beobachten: die Smartphone-Nutzer schätzen in aller Regel den Wert des Smartphones selbst deutlich geringer ein. Das ist ein typisches Phänomen für Bundles: Alexander Chernev bot einer Gruppe einen wertigen Gegenstand an, etwa ein Fahrrad; es kam zu einer Preiseinschätzung. Eine zweite Gruppe erhielt das Angebot ergänzt um eine Kleinigkeit, etwa ein Fahrrad und eine Fahrradmütze. Die zweite Gruppe ordnete diesem Angebot regelmäßig einen niedrigeren Wert zu als die erste dem wertigen Bestandteil allein, in diesem Fall dem Fahrrad. Es ist der gleiche Effekt, wie ihn die Mobilfunkanbieter beobachten.
Bundling ist eine aus der Flatrate und ihrer Beliebtheit abgeleitete Preisstrategie mit großer Vorliebe auf der Anbieterseite. Sie ist tückisch.
Übertragen auf das Beispielprojekt ist es ratsam, die Zusatzleistungen, die noch verhandelt werden, zu separieren und getrennt zu bepreisen. Eine Einbeziehung in die Verhandlung zum Basisprojekt senkt eher die Wertschätzung des Basisprojektes.
Was ist damit der Kern dessen, was der Verkäufer berücksichtigen muss? Es geht jeweils nicht um die Höhe, sondern die relative Position, und es geht vor allem um Gewinnen und Verlieren. Das ist der Kern der Prospect-Theorie: Gewinne werden als gutes Gefühl erlebt; dabei nimmt die positive Bewertung mit abnehmendem Prozentsatz ab. Dazu ein Beispiel: Eine Person verdient 5.000 € im Monat; sie erhält eine Erhöhung um 500 €. Eine andere Person verdient 10.000 € im Monat; sie erhält ebenfalls eine Erhöhung um 500 €. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass mit zunehmender Basis der Betrag weniger Enthusiasmus auslöst.
Umgekehrt ist es bei Senkungen. Das Bespiel weitergeführt: dem Unternehmen geht es sehr schlecht, es werden Gehaltskürzungen vereinbart. Es ist wieder sofort ersichtlich, dass bei einer Senkung der Beträge um jeweils 500 € die Person mit dem niedrigeren Betrag deutlich stärker betroffen ist. Selbst wenn die Vereinbarung lautet, jeder erhält 10 % weniger, ist trotz des gleichen Prozentsatzes die Betroffenheit bei der Person mit dem niedrigeren Einkommen deutlich höher. Das ist das psychologische Phänomen der Verstärkung im negativen Bereich.
Das konnte Christian Elger auch im Hirnscanner so nachweisen: Gewinne aktivieren das Belohnungssystem, Verluste aktivieren die Schmerzareale. Negative Gefühle sind stärker als positive Gefühle in ihrem Ausmaß. Vor allem ist es die Erwartung, die innerlich gute Gefühle auslöst. Gerade Verkaufsgespräche erfüllen genau diese Bedingung, dass es um die Erwartung einer Lösung geht. Das ist die psychologische Trumpfkarte des Verkäufers.
Das tägliche Verhandeln wird einfacher, wenn der Verkäufer sich vom wertorientierten Denken löst und sich ein Veränderungs-orientiertes Denken zu eigen macht. Reaktionen werden verständlicher. Im einleitenden Fall war die Kleinigkeit natürlich nur Auslöser. Nach zu vielen Schritten, die der Kunde gehen sollte, kippte durch den letzten Punkt endgültig die Stimmung. Ein Hinübergleiten in den negativen Bereich wirkt sich verstärkend aus.
Wenn mit diesem Denkansatz auch eine Fahrtroute gefunden wurde, so kommt es doch auf die flexible Handhabung an. Denn die Umstände bestimmen den konkreten Verlauf. Umstände beinhalten die persönliche Disposition der Beteiligten. Umstände beinhalten aber auch die tatsächliche Umgebung. Geschickte Verkäufer achten darauf. Untersuchungen zeigen, dass Kunden, gesetzt auf weiche und bequeme Stühle, Zeit mitbrachten und großzügig verhandelten, dass Kunden, gesetzt auf harte und weniger bequeme Stühle, hart verhandelten und wenig Zeit aufbrachten. Es ist immer wieder zu beobachten, dass es eines Gespürs für die Situation bedarf. Verhandeln ist die Kunst des Arrangements.
Was sollte ein Verkäufer beachten?

      1. Wer fragt, gewinnt: der geschickte Verkäufer lässt Leistungswunsch und Leistungswert vom Kunden entwickeln. Was wünscht sich der Kunde, welchen Wert misst er der Leistung zu?
      2. Wenn sich durch die gemeinsame Entwicklung des Wunsches ein Referenzpunkt ergeben hat, muss der Verkäufer diesen Eckwert im Auge behalten und die Gespräche entsprechend justieren. Verbesserungen führen zum Erlebnis von Gewinnen, neue Anforderungen werden in einem separaten Paket erfasst.
      3. Es kommt darauf an, dass der Kunde überwiegend die Erwartung von Gewinnen hat, er mit diesem Siegesbewusstsein ein gutes Gefühl für den Anbieter entwickelt. Es ist ratsam, im Verlauf der Gespräche wenige Veränderungen vorzunehmen wegen der Risikoaversion und der Zweiseitigkeit von Veränderungen.
Dann ist die absolute Höhe des Betrages in aller Regel weniger entscheidend. Wichtiger ist die Gewinnerwartung durch die in Aussicht genommene Lösung.


Autor:

Lothar Keite

 
 
 
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