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Lothar Keite

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Die Tücke der Marktforschung

Seriöse Tiefensicht ist im Marketing gefragt.

Wer im Unternehmen etwas vorstellen will, Pläne, Projekte, Ergebnisse, der benötigt eine gute Präsentation und dafür Marktforschungsergebnisse: wo gibt es passende Studien zu meinem Projekt? Das entspricht der Anforderung, nicht nur schöne Bilder, sondern auch Belege für Wirkung zu liefern. Ein Vorstands-O-Ton: „Je höher die Hierarchiestufe, desto mehr Marktforschungsbelege werden gebraucht.“
Die Erhebung von Meinungen ist dank Online-Umfrage schnell und einfach. Es gibt zahlreiche Untersuchungen, die Services von Verlagen, aber auch Online-Providern sind umfangreich. Doch welche Ergebnisse sind belastbar?

Beispiel Politik: Im Vorfeld der Bundestagswahl wird Marktforschung auf offener Bühne zum zentralen Argument und Entscheidungskriterium. Jüngstes überraschendes Ergebnis dieser Marktforschung ist: die Deutschen sind bereit, mehr Steuern zu bezahlen. Alle Welt staunt und die Parteien planen eher Steuererhöhungen als Steuersenkungen. „Finden Sie es richtig, die Steuern für Menschen mit hohem Einkommen zu erhöhen?“ lautet die Frage bei Infratest Dimap und 72 % der Befragten antworten am 29. / 30. April 2013 mit Ja(1). Ist damit belegt, dass Steuererhöhungen ein guter Programmpunkt sind?
Beispiel Unternehmen: Eine Meldung in der Zeitschrift „Horizont“ stimmt für ein Werbeinstrument zuversichtlich: „Onlineplakat steigert Markenbekanntheit“.(2)  Bei genauem Hinsehen geht es um eine Erhebung für Yahoo mit Jacobs Krönung, durchgeführt von Mindshare, bei der ein großes Login Ad zum „zweifachen Genuss aus der Padmaschine“ von Jacobs Krönung vor die Yahoo-Site geschaltet wurde.(3) Dazu gab es eine Online-Befragung auf Yahoo Deutschland. Erhoben wurden Daten von 1.020 Nutzerinnen von Yahoo Deutschland im Alter von 25 bis 49 Jahren, unterteilt in eine Experimentiergruppe ( mit Plakat ) von 497 Frauen und eine Kontrollgruppe ( ohne Plakat ) von 523 Frauen. Die Ergebnisse werden wie folgt zusammengefasst:
„ Das Login Ad für Jacobs Krönung bleibt in Erinnerung:

  • Bekanntheit der Marke kann gesteigert werden.
  • Werbung für Jacobs Krönung wird erinnert, besonders Online-Werbung.
  • Das Werbemittel wird eindeutig wiedererkannt und äußerst positiv bewertet.“ (4)

Wohl gemerkt: Yahoo-Userinnen wurden online gefragt, was sie bemerkt hatten, nachdem sie entweder das Plakat zu sehen bekommen oder nicht zu sehen bekommen hatten. So kommt es zu der „erstaunlichen“ Ermittlung, dass in der Experimentiergruppe das Plakat stärker aufgefallen ist und in dieser Gruppe das Plakat eher wiedererkannt wurde.

Die Tücke der Marktforschung liegt in der Beherrschung und der richtigen Nutzung der Marktforschungsinstrumente. Massenerhebungen liefern bestenfalls Durchschnittsrichtungen, wenn überhaupt: denn die Online-Befragung zu Jacobs Krönung ist einfach eine Nonsense-Befragung. Professor Diller postete dazu: „Da wird ganz richtig auf eine fatale Entwicklung hingewiesen, wobei in diesem Fall nur die Spitze eines Eisberges sichtbar wird. Geschlampt wird heutzutage überall, wo man glaubt, ohne Expertise „Marktforschung“ zu können, ohne sie zu verstehen.“  

Es wird in dem Politikbeispiel schnell deutlich, dass Steuererhöhungen immer gut sind, wenn sie bei Anderen vorgenommen werden. Im Unternehmensbeispiel wird schnell deutlich, dass Jacobs bei deutlich über 90 % Bekanntheit gar kein Bekanntheitsproblem hat, also Aussagen, die Bekanntheit lasse sich steigern, dem berühmten Eulen nach Athen Tragen entsprechen. Typisch für Entscheidungssituationen sind Fragestellungen, die einen explorativen oder einen kausalen Charakter haben und bezogen auf eine bestimmte Zielgruppe sind, denn niemand wird einem Durchschnittsmenschen begegnen. Den gibt es einfach nicht. Es gilt vielmehr, Einsichten in die Befindlichkeit bestimmter Wähler- oder Kundengruppen zu erhalten.
Dafür eignen sich Verfahren der qualitativen Marktforschung wie tiefenpsychologische Interviews oder Gruppendiskussionen oder begleitende Beobachtung. Hintergrund sind Erkenntnisse über menschliches Verhalten. Daniel Kahnemann unterteilt das Entscheidungssystem des Menschen in zwei Bereiche, um es besser zu verstehen:

  • Als System 1 bezeichnet er das intuitiv-emotionale System des Hirns, das immer im Wachzustand läuft, sich orientiert und einen Vorschlag unterbreitet. Es ist das relativ anstrengungslos arbeitende Hirnsystem, dem der Mensch meist folgt.
  • Als System 2 bezeichnet er das rational-emotionale System des Hirns, das jeweils die soziale Akzeptanz prüft und zugeschaltet wird, wenn System 1 mit Unstetigkeiten konfrontiert wird oder wenn speziell mehr rationale Überlegung erforderlich ist. Es ist das Hirnsystem, das Anstrengung verursacht und deshalb eher selten eingesetzt wird. (5)

Wer Menschen als Wähler oder Kunden verstehen will, muss das überwiegend beteiligte System 1 einbeziehen. Es gilt also, Instrumente in der Marktforschung zu verwenden, welche die intuitiv-emotionale Seite des Menschen erschließen können. Das wird nicht erreicht durch allgemeine quantitative Befragungen. Sie ermitteln meist Ergebnisse im Bereich von Ausprägungen, die bestehen oder nicht bestehen, und können einen repräsentativen Überblick zur generellen Orientierung geben. Sie geraten immer in Schwierigkeiten, wenn es um Fragen geht, die mit sozialer Akzeptanz zusammenhängen; hier werden oft sozial kompatible Aussagen getroffen, es entstehen Verzerrungen, weshalb sich verallgemeinernde Aussagen für eine Zielgruppe verbieten. Mit geschicktem Vorgehen über indirekte Fragestellungen ist es möglich, sozusagen in den Vorhof des intuitiv-emotionalen Systems zu gelangen. Mit Ratingskalen wird versucht, Ausmaße oder Stärken zu erheben. Das ist oft problematisch, wenn es direkt erfolgt; die häufigen Einfach-Zufriedenheitsbefragungen etwa der Art: „Wie zufrieden waren Sie?“ sind in aller Regel unbrauchbar. Allgemeine Befragungen, insbesondere Online-Befragungen, sind meist vordergründig angelegt. Insofern stellt sich die Frage, welche Aussage tatsächlich möglich ist.

Eine Unterteilung der Wähler in die Anhängerschaft der vier Parteien und jeweils in diejenigen, die betroffen sind von höheren Steuern, und diejenigen, die nicht betroffen sind, ergibt acht Gruppen. Ganz gleich, welche Anhängerschaft es ist, in allen Gruppen, die betroffen sind, gibt es nur geringe Zustimmung für höhere Steuern. Dagegen befürworten diejenigen, die nicht betroffen sind, in mehr oder weniger großer Ausprägung die Erhöhung. Allein in der Anhängerschaft der Grünen gibt es eine beachtliche Gruppe, die trotz eigener Betroffenheit versöhnt werden kann mit höherer Steuerbelastung, wenn sie den Zweck sehen und gutheißen kann. So liefert die qualitative Marktforschung Information für die Überlegung zu einem Wahlprogramm: es gibt eine spezielle Gruppe, die durchaus bereit ist für Steuererhöhungen, für die es aber darauf ankommt, eine Zweckbindung zu erkennen, die von diesen Wählern akzeptiert wird. Ansonsten herrscht das Sankt-Florians-Prinzip. Diese Erkenntnis hilft den Wahlstrategen, die quantitativen Durchschnittsbetrachtungen führen zu falschen Schlüssen.
Im Falle des Unternehmensbeispiels geht es bei gestützten Bekanntheitswerten über 90 % eindeutig nicht um ein Bekanntheits-, sondern um ein Einstellungsproblem. Jacobs Krönung ist nicht die moderne Internet-affine Marke. Frauen im Alter von 49 Jahren kennen noch Frau Sommer, Symbolfigur des Ratschlages von oben, das Gegenteil des Community-Verständnisses von heute. Mit dem „Genuss aus der Padmaschine“ will Jacobs Krönung auf das Feld von Nespresso, der Marke, die mit einem hohen Erlebniswert und dem Testimonial George Clooney verbunden ist. Es geht mithin darum, Ansatzpunkte zu finden, in einer bestimmten Zielgruppe Akzeptanz zu erreichen. Dafür liefert die Online-Befragung keinerlei Anhaltspunkte. Sie will ein Login Ad promoten.
Die Wirkung von Maßnahmen geht über den reinen Inhalt hinaus, betrifft auch Form und Wege. Die Sympathie in der Zielgruppe spielt die entscheidende Rolle: sympathische Marken dürfen ein Ad vorschalten, George Clooney darf das, bei anderen Marken kann sich die Aversion verstärken. Das Jacobs Krönung-Plakat läuft Gefahr, die Userinnen darin zu bestärken, dass Jacobs Krönung nervt, für sie nicht in Frage kommt. Bei genauerer Betrachtung ist das Erschließen einer Zielgruppe für Jacobs Krönung eine echte Herausforderung, die mit der Online-Befragung nicht annähernd analysiert werden kann.
Die Problematik wird dadurch deutlich, dass die durchgeführte Befragung auf jeden Fall positive Ergebnisse liefert, denn die Frage, ob das Plakat bemerkt wurde, wird bejaht, genauso wie genannt wird, von wem es war, und auch die Fragen zur Plakatbeurteilung entdecken die Einstellungsprobleme nicht. Die nächste Präsentation im Unternehmen beinhaltet: unsere Markenbekanntheit geht nach oben und unser Online – Plakat wird erinnert. Konsequent werden die falschen Entscheidungen getroffen. Die Frage aber, wie können wir in welcher Zielgruppe ankommen, wird nicht betrachtet. Das jedoch wäre die geeignete Grundlage für Marketingentscheidungen.

Methodenbeherrschung ist gefordert. Fragen zur Wirkung sind die zentralen Fragen im Marketing und die werden im Allgemeinen nicht durch quantitative, sondern durch qualitative Marktforschung beantwortet. Jeder Marketingverantwortliche sollte sich fragen: habe ich es nicht mit einer explorativen oder einer kausalanalytischen Fragestellung zu tun? Dann ist es besser, sich Hilfestellung von Experten aus der qualitativen Marktforschung zu holen. Dadurch lassen sich die geplanten Maßnahmen erst fundieren.
Was sind Verfahren der qualitativen Marktforschung?
Drei Methoden sind genannt worden:

  1. Tiefenpsychologische Interviews

Sie basieren auf der Psychoanalyse und führen die Probanden gedanklich in verschiedene Welten, um dort die Fragestellung von unterschiedlichen Seiten zu betrachten. Prinzip ist die gedankliche Wanderung und Loslösung.

  1. Gruppendiskussionen / Workshops

Sie basieren auf einer Kombination von psychologischen und soziologischen Techniken. Die Probanden werden ebenfalls aus der kontrollierten persönlichen Ebene herausgeführt, und zwar durch eine Kombination von Einzel- und Gruppenarbeiten. Die entstehende Dynamik in der Gruppe führt zu freieren Äußerungen.

  1. Begleitende Beobachtung

Sie basiert auf Verfahren der Sozialwissenschaften. Es geht darum, dass ein geschulter Beobachter Teil der Gruppe wird und sich im Laufe der Zeit die Kontrolliertheit mindert. Aufgrund der Fähigkeit, dann die spontaneren Aktionen und Äußerungen zu sehen, kann der beobachtende Experte tiefere Befindlichkeiten erkennen.

Allen Verfahren ist gemeinsam, dass sie hinter die Kontrolle durch das System 2 gelangen wollen. Menschen agieren in Verbindung mit Anderen sozial kontrolliert. Das entspricht aber nicht ihrer typischen Verhaltensweise. Für sich lassen sich die Menschen leiten durch das System 1. Das gilt für Wahl- und Konsumpräferenzen. Deshalb ist eine tiefgründige Marktforschung nur möglich, wenn sie Verfahren einsetzt, um das „normale“ Entscheidungsverhalten der Menschen zu ermitteln. Darauf sollten politische wie Marketingüberlegungen fußen.

 

 
Konsequenzen:

  1. Wer Studien für eine Präsentation nutzt, sollte genau prüfen, ob diese nach den Regeln guter Marktforschung erstellt wurden.
  2. Es ist immer zu prüfen, um welches Problem es geht. Die Methoden müssen dazu passen. Handelt es sich wirklich um eine quantitative Fragestellung und ist die Erhebung dafür geeignet?
  3. Zielgruppenorientierung erfordert Zielgruppenkenntnis, die in aller Regel qualitative Marktforschung erfordert. Es gilt, das intuitiv-emotionale Verhalten der Kunden in die Überlegungen der Marketingplanungen einzubeziehen.
  4. Drei Instrumente haben sich in der qualitativen Marktforschung bewährt: aus der Psychologie kommt das tiefenpsychologische Interview, aus den Sozialwissenschaften die begleitende Beobachtung; Gruppendiskussionen / Workshops stellen ein besonders praktikables Mittel dar, bei dem Zugehensweisen aus Psychologie und Soziologie kombiniert werden.

(1) Vgl. Bollmann, Ralph, Wir alle wollen höhere Steuern zahlen – stimmt das?, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 12. Mai 2013, S. 23.

(2) Vgl. Sara Weber, Onlineplakat steigert Markenbekanntheit, in: Horizont 25 / 2011 vom 24. Juni 2011, S. 19.

(3) Vgl. Yahoo! Research vom 16.05.2011, download on yahoo.com und Sara Weber, a. a. O.

(4) Vgl. Yahoo! Research vom 16.05.2011, a. a. O., Seite 9 ( nicht nummeriert ) der Präsentation.

(5) Vgl. Kahnemann, Daniel, Tinking, fast and slow,  London 2011.

 
 
 
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